Presse Archiv : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 5. 2001 Radio-Tagebuch
Mit seinem neuen Hörspiel "Amokkopf" widmet er sich einer besonders rätselhaften Variante des Tötens, nämlich dem Entschluß bis dahin oft gänzlich unbescholtener Zeitgenossen, mit einem Mal enthemmt um sich zu schiessen.
Das Wort "Amok" stammt von dem malajischen Wort "amoku" ab, was soviel wie "rasend" oder "wütend" bedeutet.
Ein Amokläufer Scheint aus dem Nichts heraus zu handeln, sein Töten wirkt wahllos, und oft genug nimmt er in Kauf, selbst im Kugelhagel zu sterben. Doch nicht erst seit dem Massaker von Littleton, verübt von zwei Schülern, ist bekannt, daß ein Amoklauf durchaus auch minutiös vorbereitet sein kann: Die beiden Täter hatten Waffen gehortet und Pläne geschiniedet, und sie hatten ihr Vorhaben sogar angekündigt. Was also Menschen dazu bringt, zahllose Unschuldige dahinzumorden, ist geheimnisvoll, und nicht zuletzt das Nebulöse der Morde macht den Schrecken des Amoklaufes aus.
Michael Farin gibt in keiner Sekunde seines Hörspiels vor, er könne eine Erklärung liefern. Im Gegenteil, sein Stück beginnt mit einer Szene, die wie kaum eine andere das Unfassbare des Geschehens zeigt: Die Frau eines Amokläufers ruft eine Freundin an, die ihrerseits mit Schwachen Worten die Weinende am anderen Ende der Leitung zu beruhigen versucht.
Staatsanwälte und Verteidiger, Stammtischbrüder und Angehörige, Amokläufer und ein Sachverständiger, sie alle kommen mit kurzen, abgerissenen Sätzen zu Wort und erläutern ihre Sicht der Dinge:
Der Mörder spricht von seinem Hass auf alles, was lebt. Der Mann von der Strasse spricht von seinem Hass auf alle Mörder. Und der Sachverständige spricht von Objektverlust im Kindesalter und der rasenden Wut, die in den Amoklauf treibe: So wenig, wie diese Deutungen begreiflich machen können, was in "Amokköpfen" vor sich geht, ist dies bei der Auflistung von Motiven der Fall. Geldnot und Neid unter Kollegen, Liebeskummer und Einsamkeit - derlei kann jedermann treffen, doch greift gottlob längst nicht jedermann zur Smith & Wesson.
Weit entfernt also ist Farins Hörspiel von einem Psychogramm, welches analytisch Tatmotive und tiefere Ursachen eines Amoklauls erläutern wurde. Die dicht-gedrängte, nahezu herausgepreßte Flut der Worte presst der Autor vielmehr in eine Art Spirale: In zeitlich exakt kalkulierten Abständen kommen die immer gleichen Ereignisse zur Sprache, werden immer wieder die Namen von Amokläufern und die Zahl ihrer Opfer genannt.
Das Komponisten-Duo Laar/Zeitbloom hat dazu eine Musik ersonnen, die in filigranen Schüben wie Impulse in einer Nervenbahn davonschiesst: Das Hörspiel erklärt nicht, was sich im titelgebenden "Amokkopf" abspielt - es versetzt sich selbst in einen solchen hinein und präsentiert sich als akustische Simulation. Die Synapsen spielen verrückt, die Sinne schwinden, irgendwann werden die Sätze, gesprochen von so herausragenden Darstellern wie Axel Millberg und Sophie von Kessel, zu einem gewaltigen Mahlstrom, der alles mit sich reißt.
Doch unternimmt Farin niemals den zum Scheitern verurteilten Versuch, einem Rätsel mit schlichten Mitteln auf den Grund zu gehen - vielmehr stellt er das Problem in seiner Komplexität dar, ohne je in Irrationalismus zu verfallen. Mit dem Fall des Schwarzen Colin Ferguson warnt er vielmehr davor, Schnelle Urteile zu fällen. Im Kreuzverhör vor Gericht streitet der eines Amoklaufs verdächtigte Ferguson ab, der Täter zu sein, und je länger die Verhandlung fortdauert desto grösser werden die Zweifel an seiner Schuld. Indem er sein aufwendig recherchiertes Sprachmaterial als musikalisch rhythmische Struktur arrangiert, gelingt Farin Beeindruckendes: ein forensisches Hörspiel - der Blick in einen Amokkopf.
Frank OlbertHeute um 20.30 Uhr bei HR 2